Natürlich muss einem die Wahl der Therapiemittel als TherapeutIn liegen, so arbeiten manche mehr funktionell, andere handwerklich, andere wiederum mehr im Gespräch, und dann gibt es die SpielerInnen. Im Grunde entsteht aber eine gute Mischung an Repertoire für unterschiedliche Behandlungsschwerpunkte. (Artikelbild von Jaro Larnos via Flickr: CC BY 2.0)
„Ich spiele gerne.“
Nicht nur in der Pädiatrie hat das Spiel in der Ergotherapie eine große Bedeutung. Auch in der Psychiatrie, im kognitiven Training, teilweise als funktionelles Spiel auch in der Handtherapie, findet es aus diversen Gründen Anwendung. Für Kinder prägt es in der Entwicklung durchaus den Alltag, daher nimmt auch die Ergotherapie Bezug darauf. Spiel kann man aber vom Begriff her auch weiter fassen.
Warum spielt der Mensch überhaupt?
Mit dieser Frage haben sich im Laufe der Zeit schon viele Leute theoretisch beschäftigt:
Für Herbert Spencer war es 1865 ein Kraft- und Energieüberschuss. Sprich, wenn nach der Arbeit noch an Kraft oder kognitiver Leistung über ist, bieten sich Spiele an, um sich zu messen, um sich laut, lebendig, wild und unübersehbar zu zeigen. Moritz Lazarus sah das Spiel 1883 im Gegensatz zur Arbeit, welche im Vergleich zweckgerichtet ist. Man kennt den Spruch, zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. Mir begegnet dies häufig im Schulalltag, wo es auch heißt, eine Schulreife ist noch nicht gegeben, weil das Kind zu verspielt ist. Karl Groos spricht 1899 von einer Einübungstheorie. Bei Tier und Mensch wird im Spiel eingeübt, was bei den Erwachsenen beobachtet wird. Dies geht, solange man noch nicht selber fürs Überleben sorgen muss. Die Eltern jagen richtig, die Kinder spielen es nach. Das Einüben ist auch bei Pestalozzi Thema, allerdings wird hier nicht mehr unterschieden zwischen Spiel und Lernen.
Irenäus Eibl-Eibesfeld sieht das Spiel 1969 als Dialog zwischen Mensch und Umfeld in sozialer und materieller Sicht, die sogenannte Umwelt-Erfassungs-Theorie. Angstabwehr ist es bei Freud, denn das Rollenspiel kann auch Möglichkeiten bieten, Angst abzuwehren, indem man manches nachspielt und Selbstheilungskräfte aktiviert. Die Theorie der Wirklichkeitsflucht stammt auch aus der Psychoanalyse, sozusagen zum Vergessen der harten Realität. Johan Huizinga spricht 1938 von der Kulturschaffungstheorie. Man spiele zuerst und daraus entsteht die Kultur (zum Beispiel beim Krieg).
Das Spiel als Manifestation der menschlichen Intelligenzentwicklung hat dann Jean Piaget in der kognitiven Spieltheorie zusammen gefasst. Da ist es erst ein Übungsspiel, ein Funktionsspiel, welches physische und sensorische Erfahrung bietet. In weiterer Folge wird es zu einem Symbolspiel, wo Gegenstände symbolisch eingesetzt werden oder man Als-Ob-Spiele oder Rollenspiele wieder findet. Später spielt man dann Regelspiele.
Die Dialektiktheorie wird von Brian Sutton-Smith beschrieben, hier dient das Spiel vor allem dazu, die Lebensumwelt kennen zu lernen. Interessant ist auch die Triebtheorie nach Johannes Buytendijk (1933), wo das Spiel zur Befriedigung angeborener Lebenstriebe dient. Menschliche Bedürfnisse wie Neugiertrieb, Bewegungstrieb, Explorationstrieb, Wissen- und Erkenntnistrieb, Gestaltungstrieb, Gesellschafts- vielleicht auch Sexualtrieb.
Gerade kulturell gesehen, haben wohl alle Menschen, auch manche Tiere Erfahrung mit Spiel. Wenn es so sehr unsere Entwicklung und Handlungsfähigkeit prägt, ist es fast unumgänglich es auch in den therapeutischen Alltag mit einzubauen. Allerdings sind es sehr unterschiedliche Schwerpunkte, die wir auch therapeutisch nutzen können. Wir wählen gezielt aus, welches Spiel.
Der Versuch einer Klassifikation von Spielen
Ich versuche mich an einer Klassifizierung mit einigen Spielbeispielen. Einige davon könnte man natürlich bei mehreren Kategorien anführen, was ich nicht mache, was aber nur für den multifunktionalen Einsatz des therapeutischen Mittels „Spiel“ spricht.
Funktionelle Spiele
Spiele, die grob- und feinmotorische Komponenten beinhalten. Dies wird vom Kleinkind aufwärts als Bewegungsexperimentierfeld genutzt, anfänglich Schüttspiele, schön langsam koordinativer und immer ausdifferenzierter. Beispiele für diese Kategorie wären:
- Packesel
- Twister
- Jenga
- Mikado
- Tempelhüpfen
- Hüpffrösche
Oder mein Lieblingsspiel in dieser Kategorie Ring´l´Ding, ein Spiel mit Haargummis, die nach einer Vorlage so schnell wie möglich auf die Finger angeordnet werden müssen.
Wahrnehmungsspiele
Die Kleinkinder spielen liebend gerne mit ihren Zehen und der eigene Körper ist ja meist wichtiger Bestandteil im Spiel, das wir therapeutisch nutzen wollen. Beispiele hierfür wären:
- Geräuschmemory
- Verfühlt nochmal
- Armer schwarzer Kater
- Rangelspiele
Interessant aber herausfordernd ist „Stille Post am Rücken“: Man schreibt ein Wort auf den Rücken eines weiteren Teilnehmers, dies geht wieder weiter an den nächsten, bis zum Schluss aufgelöst wird.
Kognitive Spiele-Denkspiele
Manchmal wird allzu sehr damit getrickst und den Kindern ein Spiel untergejubelt, dass nur zu gut zu deren momentanen Lernzielen passt. Triomino mit Rechnen, LÜK, usw.
Aber viele wollen sich auch messen, selber ertesten und so unbewusst kognitive Prozesse weiter ausbauen, wenn es ums Merken, Kombinieren, Wissen geht. Wer kennt nicht die KartenspielerInnen, die sich genau gemerkt haben, welche Karten noch übrig bleiben im Talon…
- Memory
- Stadt/Land/Fluss
- Ubongo
- Trivial Pursuit
Oder mein Lieblingsspiel in dieser Kategorie: Set, ein Kombinationsspiel wo zusammenpassende Reihen unter Berücksichtigung von Form, Füllung, Farbe und Anzahl gebildet werden müssen.
Kooperationsspiele
Gerade für soziale Handlungsfähigkeit und Gruppentherapie mit unterschiedlichen Schwerpunkten von Teamfähigkeit über Interaktionskompetenz bis zu Selbst- und Fremdwahrnehmungsbereichen, gibt es interessante Spiele, die sich mitunter schon lange gehalten haben:
- Versteinern
- Zug um Zug
- Die Siedler von Catan
- Hanabi
„Oder der beliebte Fröbel-Turm, wo viele verteilte Schnüre gemeinsam einen Kran betätigen, der Klötze aufeinander stapeln soll.
Kommunikationsspiele
Hier geht es um das Sich-Mitteilen, ein wichtiger Teilbereich der sozialen Handlungsperformance, Beispiele wären:
Oder Kakerlakensalat, deshalb zumindest bei den Kindern beliebt, weil es ein Spiel ist wo man lügen muss.
Konstruktionsspiele
In allen Haushalten vorhanden, vom Lego über Bausteine über gestapelte Bierplättchen oder Steinmännchen bis zu Puzzles, fördern sie die räumliche Wahrnehmung und Kombinationsgabe und sind motorisch mit unterschiedlichen Komponenten gespickt:
Oder ganz alltagsnah das Spiel Hoch, höher, am höchsten, wo man Sessel stapelt.
Kreativitätsspiele
Spiele sollten, wie weiter oben erwähnt, nicht unbedingt einen Zweck erfüllen. Manche Spiele mit kreativen Charakter bieten Ausdrucksmöglichkeit und Entspannung, zum Teil auch mit Problemlösungsaspekten, zum Beispiel:
Oder mein Lieblingsspiel in dieser Kategorie, Identik, da muss man allerdings schon gerne zeichnen, nämlich das Bild, das ein anderer beschreibt.
Rollenspiele
Spielen wir sie nicht alle manchmal immer noch? Ein wichtiger Bestandteil in der Entwicklung, v.a. zum Probehandeln, Lösungen und soziale Rollen zu erproben. Womöglich sind manche Computerspiele, auch soziale Medien die Rollenspielvariante für Erwachsene. Ansonsten gibt es zahllose Möglichkeiten für Groß und Klein:
Die Liste ist fast endlos, Wikipedia hat eine gute Übersicht…
Neben diesen gibt es sicher noch viele andere Versuche und Möglichkeiten, Spiele einzuteilen…
Das Spiel in der Therapie
Um das Spiel sinnvoll nutzen zu können, bauen wir sowohl auf intrinsische Motivation (wie immer), die unterschiedlich gelagert sein kann. Jemand möchte sich messen, gewinnen, sich erholen. Aber auch extrinsische Motivation spielt eine Rolle. Dies sind die Spielgeräte, die uns begegnen. Das kann ein Stück Holz sein, ein Gummiringerl oder das Essen und Besteck. Natürlich denkt man auch an begehrte geschaffene Spiellandschaften in Einkaufszentren, in städtischen Begegnungszonen, bei Wanderausflügen und Erlebniswäldern. In meiner Umgebung gibt es einen Spielewirt, nach der Bestellung gibt er ein schnell erklärtes Spiel auf den Tisch, das Warten auf das Essen ist somit extrem verkürzt. In der Praxis ist es ein ähnliches Bild, manche Spielgeräte drängen sich förmlich auf und viele Spiele werden von uns gezielt ausgewählt.
Bei der Auswahl sollte man auf Dauer, Einfachheit der Erklärung und die Möglichkeit Schwierigkeitsstufen abzuwandeln achten. Bob It ist ein sehr begehrtes Spiel in der Praxis, es ist auch das einzige Spiel, das Batterien braucht. Anscheinend hat es doch einen starken Reiz, wenn ein Spiel Geräusche von sich gibt und es ist ein tolles Konzentrationsspiel. Allerdings kann man es in der Geschwindigkeit der Befehle wie „Ziehen!“, „Drehen!“, „Klopfen!“ wenig abwandeln, so kommt es nur für eine gewisse Zielgruppe in Frage.
Ich kann das Spielen nur wärmstens für den Alltag, eine Spielerunde am Abend, eine therapeutische Hausaufgabe für Großeltern und Enkel und für Fördermöglichkeiten in Form einer Spieleliste für zuhause empfehlen.
Viel Spaß dabei!
Weiterführende Literatur
Zusätzlich zu den im Artikel selbst verlinkten Spielen und Materialien könnten nachfolgende Bücher für LeserInnen eventuell noch von Interesse sein:
- Hahnenberg, U. (2013). Das große Förder-Spiele-Buch: Wahrnehmung. Dortmund: Borgmann Media.
- Hahnenberg, U., & Diephaus, D. (2016). Das große Förder-Spiele-Buch 1: 2-4 Jahre. Dortmund: Borgmann Media.
- Kayser, A., & Kayser, E. (2006). Spiel, Spielen, Therapie: Eine Theorie des Spielens und ihre Anwendung auf das Spiel in der Ergotherapie. Idstein: Schulz-Kirchner.
- Pauli, S., & Kisch, A. (2018). Spiele zur Förderung der Handgeschicklichkeit und Grafomotorik: für Therapie und Pädagogik. Dortmund: Verlag Modernes Lernen. (Erhältlich ab/seit September 2018)
- Thürk, T. (2014). Spielesammlung für Therapie und Pädagogik: Eine Anleitung zum gezielten Spielen. Dortmund: Verlag Modernes Lernen.
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