Ergotherapie im Web

Haltungshintergrund und Posturale Kontrolle: Grundlagen, Pathologien und Therapieansätze

Definition

Als „Posturale Kontrolle“ wird das Vermögen des menschlichen Körpers bezeichnet, unter dem Einfluss der Schwerkraft eine aufrechte Körperposition beizubehalten. Die posturale Kontrolle basiert auf der zentralnervösen Verarbeitung von Wahrnehmungen des Vestibularorgans, des visuellen Systems, der Propriozeptoren und der Exterozeption, sowie auf der mentalen Vorwegnahme zukünftiger Bewegungsabläufe (Antizipation) und wird durch an die jeweilige Situation angepasste Ansteuerung der Muskulatur erreicht (Quelle). (Artikelbild von TBWABusted [Archivlink] via Flickr [Archivlink], CC BY 2.0)

Das heißt, dass der Mensch in der Lage ist, sich stets gegen die Schwerkraft auszubalancieren und das unabhängig davon, ob er sich bewegt oder nicht. Dies geschieht immer in einem dynamischen Gleichgewicht, wodurch beim Menschen auch die Haltung (ohne Bewegung) als dynamischer Vorgang betrachtet werden muss.

Das Wort Haltung suggeriert etwas Statisches, die menschliche Haltung ist jedoch ein dynamisches Gleichgewicht“ (Moshe Feldenkrais)

Zu berücksichtigen ist, dass wir hier nicht nur von „Gleichgewicht“ sprechen, sondern von einer zentralen Verarbeitung verschiedener Inputs. Unser Visus gibt uns Information über den Raum bzw. die Aufgabe. Unser Gleichgewichtsorgan liefert zusammen mit der Tiefensensibilität (und dem Visus) Informationen zur Position im Raum und zur bewussten Orientierung. Die Exterozeption kann uns zusätzlich Informationen über die Beschaffenheit von Unterstützungsfläche oder Gegenständen geben. Diese Wahrnehmungsinformationen werden vom ZNS verarbeitet, das daraufhin einen motorischen Auftrag sendet welcher über Bewegung beantwortet wird. Hierbei kommt es zu einer ständigen Anpassung bei Bewegung, was wiederum ein Feedback erzeugt.

Pathologie (Auswirkung auf den Muskeltonus)

Nach einer Läsion innerhalb des zentralen Nervensystems kommt es meist zu Ausfällen bzw. Einschränkungen im Bereich der verschiedenen Wahrnehmungen, daraus wiederum resultiert eine defizitäre posturale Kontrolle. Nicht das einzige, aber das wohl auffälligste Problem, stellt dabei die Tonusveränderung im Sinne einer Spastik dar. Im Bereich der oberen Extremität sprechen wir z.B. bei einem „typischen“ Wernicke-Mann-Gangbild von assoziierten Reaktionen im Sinne eines Tonusanstiegs im Flexionsmuster. Es gibt vielerlei Ansatzmöglichkeiten zur Behandlung der einzelnen Wahrnehmungsleistungen, um Einfluss auf die posturale Kontrolle zu bekommen. Ich möchte mich allerdings bei meiner Annahme auf Ursache und Behandlung der Tonusverhältnisse beschränken.

Wernicke-Mann-Gangstörung

Annahme (Auswirkung auf den Muskeltonus)

Durch eine nicht ausreichende Aktivierung der posturalen Muskeln (paravertebral) müssen phasische Muskeln die Aufgabe übernehmen, um den Körper gegen die Schwerkraft zu behaupten. Hier steigt beispielsweise der Tonus im Bereich des M. latissimus dorsi, damit dieser den Körper im Schwerkraftfeld fixieren kann. Ebenso holt sich der instabile Rumpf die Spannung der betroffenen Extremitäten.

Beispiel: Wenn man das erste Mal auf Inline-Skates steht, zeigt sich auch eine mangelnde posturale Kontrolle, da unser ZNS die eingehenden Wahrnehmungsinformationen noch nicht kennt und nicht ausreichend beurteilen kann. Wir versuchen uns zu fixieren, indem der gesamte Tonus ansteigt, damit wir nicht stürzen. Aus diesem Grund wirken unsere Bewegungen auch alles andere als harmonisch. Erst nach einiger Zeit und ausreichend Feed-Forward und Feedback können sich unsere Bewegungen anpassen und wir können uns physiologisch und relativ frei bewegen. unsere posturale Kontrolle hat sich während dieses Prozesses verbessert.

Dieses Beispiel kann wohl auch auf einen Patienten mit Hemiparese übertragen werden. Er versucht sich permanent gegen die Schwerkraft zu behaupten, wodurch vermehrter Tonus erforderlich ist. Das Problem, welches dieses Phänomen noch verstärkt, ist eine defizitäre Wahrnehmung (siehe Schema “Posturale Kontrolle) in den oben beschriebenen Bereichen. So haben wir häufig das Problem, dass Patienten einen sehr schlechten Lagesinn (Mirroring) haben und somit bei Bewegung kaum Einfluss auf die Tonusveränderung nehmen können. Wie so oft zeigt sich das Hauptproblem meist auch hier im Rumpfbereich. Mangelnde posturale Aktivität in Kombination mit Fixation phasischer Muskulatur, die der Patient eigentlich zum Bewegen bräuchte.

Um nun eine Therapie auf Aktivitätsebene durchführen zu können, sollten wir zunächst an der Körperstruktur arbeiten, damit der Patient zumindest passiv in ein gutes Alignment gebracht werden kann.

Behandlungsbeispiel

Auf Abb. 1.0 wird der M. latissimus dorsi passiv mobilisiert. Dabei wird die Hüfte sowie die Kniegelenk auf etwa 90° Flexion gelagert. Anschließend erfolgt die Mobilisation in eine weiterleitende Hüftflexion und Rumpfrotation zur weniger betroffenen Seite. Dabei sollte der obere Rumpf stabil bleiben. Die Hand des Therapeuten führt den hypertonen Muskel in Bewegungsrichtung mit.

Abb. 1.0

In Abb. 1.1 wird nun aufbauend selektive Bewegung angebahnt. Auch hier sollte der obere Rumpf stabil, der untere Rumpf mobil sein. Zur besseren Aktivierung der ventralen Kette kann der untere Rippenbogen etwas nach kaudal/dorsal fazilitiert werden. Der Patient soll nun, aufbauend zur vorangegangenen Mobilisation, eine aktive Rotation im unteren Rumpf tätigen. Um nun noch kräftigend zu arbeiten, können verschiedene Arten des Bridgings eingebaut werden, wobei stets auf ein korrektes Alignment zu achten ist, um Kompensationen und Massensynergien zu unterbinden.

Abb. 1.1

Auf Abb. 1.3 soll nun die erarbeitete Selektivität genutzt werden, um physiologische Stellreaktionen des Rumpfes zu erzeugen. Dabei soll der Patient eine aktive Lateralflexion ausführen, wobei der mehr betroffene Rumpf konzentrisch arbeiten muss, um den Körper adäquat stabilisieren zu können. Zudem muss ausreichend Selektivität vorhanden sein um den Schultergürtel korrekt auszurichten. Fazilitiert werden kann hier am lateralen Rumpf auf Höhe des unteren Rippenbogens.

Abb. 1.2

Zur Beurteilung unserer Behandlung dienen uns die anfangs erwähnten „assoziierten Reaktionen“. Haben wir ausreichend am Rumpf gearbeitet (soweit der Rumpf das Hauptproblem darstellt), sollten bereits nach der Behandlungseinheit die assoziierten Reaktionen nachlassen, d.h. beispielsweise eine geringere Flexion im Ellbogengelenk. Ist dies der Fall, können wir daraus schließen, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden, da wir durch eine Verbesserung der Rumpfsituation, dem Patienten mehr Stabilität und Sicherheit geben konnten, wodurch er weniger auf die Fixation durch Tonuserhöhungen angewiesen ist. Seine posturale Kontrolle konnte dadurch verbessert werden.

Dieser Artikel konzentriert sich in erster Linie auf die Tonussituation, den Einfluss und die Behandlung posturaler Kontrolle. Wie oben beschrieben, sind jedoch weitaus mehr Wahrnehmungsebenen beteiligt. Auch hier muss das Hauptproblem identifiziert werden um angemessen therapieren zu können. Somit gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten in den verschiedenen Bereichen, in denen eine Behandlung ansetzen kann.

Literatur


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Autor*in

Maximilian Helber

Maximilan Helber schrieb von 2010 bis 2012 als Autor am handlungs:plan und behandelte Themen aus dem Arbeitsfeld Neurologie. Heute leitet Max das Yogastudio „Manoja Yoga“ in Deggendorf - Website

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