Ergotherapie im Web

Mini-Serie: Das gemeinsame Projekt: Von Anfang an lösungsorientiert! (Teil 1)

Dieser Artikel ist Teil einer, von Hendrik Musekamp verfassten, Mini-Serie zu lösungsorientierter Arbeit im Kontext der Ergotherapie, der zweite Teil der Serie ist unter diesem Link abrufbar. (Artikelbild von Ash from Modern Afflatus via Unsplash)

Wie wir beginnen

»Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne …«
– Hermann Hesse

In den ersten Kontakten mit unseren KlientInnen erschaffen wir eine Grundlage für die erfolgreiche Therapie. Diese steht oft auf wackeligen Beinen, weil Diagnosen und Defizite überwiegen. Hinzu kommen Fragebögen zum Erstkontakt, administrative Fragen und oft mehrere Assessments und Tests.

Das wurde uns schon früh vermittelt, um einen Klienten »ganzheitlich« zu betrachten. Auch wenn wir damit klientenzentriert und zielorientiert vorgehen, drängt sich damit der Eindruck auf, dass eher ein Maßstab zählt. Der Maßstab der TherapeutInnen und weniger die Agenda der KlientInnen.

Ein Ungleichgewicht entsteht, indem Defizite und Probleme überwiegen. Zudem die Einschätzung, Bewertungen und Lösungsversuche des Profis, statt der Hoffnungen, Ideen und Bewertungen der KlientInnen. Dieses Ungleichgewicht wird schnell von beiden Seiten akzeptiert. Wir sind schließlich die Fachleute und KlientInnen kommen oft mit der Erwartung, dass wir die Lösungen bereitstellen.

Wenige KlientInnen unterbrechen diesen Prozess: »Warum wollen Sie das alles wissen?« Hier gehen wir mit unseren Fragen vermutlich einen Schritt zu weit. Steve de Shazer, Mitbegründer der lösungsorientierten Methode, hätte das als Zeichen der Kooperation gewertet, mit dem uns unser Gegenüber einlädt andere Wege zu gehen.

Der Psychologe Bill O’Hanlon [Archivlink] sagt dazu treffend, wir haben kein Recht auf »Sightseeing« im Leben unserer PatientInnen. Wir brauchen nur die Informationen, die in direktem Zusammenhang mit dem Anliegen der KlientInnen liegen.

»Was ist also die Alternative?«

Die lösungsorientierte Methode. Denn sie konzentriert sich von Anfang an darauf:

  • wo KlientInnen hin möchten (statt Defizite aufzudecken, um diese zu minimieren),
  • was bereits funktioniert (und was nicht, damit man etwas anderes tun kann),
  • und wovon wir mehr machen können, damit Fortschritte für unsere KlientInnen wahrscheinlicher werden.

Wenn Sie glauben, dass Sie mit ihrer Arbeit auf einem guten Weg sind, bleiben Sie bitte skeptisch beim Lesen dieses Artikels. Ein Credo der lösungsorientierten Methode lautet, wie gesagt, mehr von dem zu tun, was ohnehin schon gut funktioniert.

Wenn Sie ihre KlientInnen aber (noch mehr) in den Mittelpunkt stellen wollen, ihnen auf Augenhöhe begegnen wollen, sie selbst in ihrer Verantwortung für die eigene Gesundheit bestärken und sich ihre eigene Arbeit (etwas) leichter machen wollen, lesen Sie umso aufmerksamer. Denn hier ist ein erster kleiner Schritt in diese Richtung.

Von Anfang an lösungsorientiert

»If the clients really are the experts in their own lives, then curiosity is the only sensible stance to take on the part of the therapist.«
— Rayya Ghul (2009)

In dem Moment, in dem wir uns vorstellen, schaffen wir einen Rahmen für die Therapie. Insoo Kim Berg, Pionierin der lösungsorientierten Methode, empfiehlt von Anfang an den Menschen mit seinen Möglichkeiten in den Mittelpunkt zu stellen, nicht PatientInnen, KlientInnen oder ein Kind, das in die Therapie kommt. Sie verweist damit auf drei Unterschiede:

  1. Zum einen geht es darum, KlientInnen als Menschen anzusprechen, statt sie in Ihrer Funktion oder Rolle zu begrüßen. Denn der Mensch als Ganzes verfügt eher über alle notwendigen Fähigkeiten für ein erhofftes Ergebnis. Die Rolle oder Funktion ist nur ein Teil davon und liefert nur einen Bruchteil der Möglichkeiten.
  2. Zum anderen empfiehlt sie, die Aufmerksamkeit auf Ressourcen von KlientInnen und nicht auf Defizite zu richten. Der lösungsorientierte Ansatz trifft eine eindeutige Wahl, worauf wir achten und was wir verstärken: Ressourcen und Lösungen und nicht Defizite und Probleme.
  3. Der dritte Unterschied bezieht sich auf den zeitlichen Aspekt: von Anfang an. Vom ersten Moment der Begegnung mit unseren KlientInnen haben wir die Möglichkeit, einen für die Ziele der KlientInnen günstigen Rahmen zu setzen, in dem sie sich als kompetent und ressourcenreich erleben können und damit zuversichtlicher werden, dass die Therapie für sie nützlich sein wird.

Wenn wir im Erstkontakt schon lösungsorientiert vorgehen wollen, ist es nützlich zu überlegen, welche Fragen wir stellen.

Wie können wir also beginnen?

Die Besten Hoffnungen

»Best hopes give us a starting point. But they don’t give us an ending.«
— Evan George

Im BRIEF Institut London, wo die Prinzipien der lösungsorientierten Methode gelehrt und angewendet werden, machen die TherapeutInnen einen Wettstreit daraus ihre erste Frage an die Ratsuchenden zu richten, bevor er sich hingesetzt hat.

Man kann dann bspw. die folgende Frage hören:

»Lassen Sie mich direkt zum Wesentlichen kommen: Was sind Ihre besten Hoffnungen für die Auswirkungen unserer gemeinsamen Arbeit?«

Erst eine Antwort auf diese Frage rechtfertigt weitere Fragen und Maßnahmen.

Evan George (BRIEF) über »Best Hopes and Goals«

»Sie erlaubt uns schnell zum Punkt zu kommen. Auch stellt sie einen Menschen mit seinen Hoffnungen in den Vordergrund, statt Probleme und Diagnosen.«

Harry Korman, Gründer der SIKT Institut in Schweden, wählt eine andere Variante zum Einstieg:

»What will have to be different after this session – something small – for you to be able to say that it was helpful seeing me?«
— Harry Korman (2004)

Frei übersetzt: »Was muss anders sein nach diesem Termin (dieser Verordnung), eine Kleinigkeit vielleicht, die Ihnen sagt, dass es nützlich war herzukommen?«

Einige KlientInnen werden diese Fragen direkt beantworten:

  • »Ich kann meinen rechten Arm dann wieder besser einsetzen.«
  • »Ich kann mich besser strukturieren und komme leichter durch den Tag.«
  • »Ich kann besser schreiben und meine Eltern und Lehrer lassen mich in Ruhe.«
  • »Ich habe mehr Antrieb und komme leichter in die Gänge.«
  • »Ich kann mich besser konzentrieren und auch mit Ablenkungen umgehen.«
  • »Ich bin sicherer auf den Beinen und mein Gangbild sieht normal aus.«

Mit einem kurzen »Was noch?« sind unsere KlientInnen eingeladen weitere Punkte zu ergänzen.

Damit gelangen wir fast zu einem gemeinsamen Projekt, das wir als ErgotherapeutInnen in der Regel konkretisieren wollen. Denn stimmige Ziele sind eine große Ressource in Veränderungsprozessen (Musekamp, 2020). Es gibt oft kurze Umwege, mit denen wir rechnen müssen.

Auf den Punkt gebracht

»Keep one foot in acknowledgement and one foot in possibility.« — Bill O’Hanlon

Paradoxerweise erzählen uns KlientInnen oft unabhängig von der ersten Frage, was sie nicht mehr wollen. Das Gangbild soll nicht mehr so unregelmäßig sein. Die Schmerzen sollen verschwinden. Die Taubheit soll verschwinden. Die Ängste sollen verschwinden. Der Junge soll endlich aufhören zu zappeln und nicht durch den Klassenraum schreien.

Das passiert, egal, ob wir fragen was jemanden zur Therapie bewegt oder was er sich als Ergebnis erhofft.

Es hilft, hier als TherapeutIn bei der Person zu bleiben, statt sich in Problemanalysen und Hypothesen über Ursachen zu verlieren. Wenn wir spiegeln, was unsere KlientInnen sagen, sind wir auf dem besten Weg.

Wenn wir vermeiden die Schwere eines Problems zu analysieren, keine Erklärung für das Problem suchen. Wenn wir stattdessen bei dem Menschen bleiben, der gerade mitteilt, dass etwas für ihn nicht rund läuft und wir das Gefühl vermitteln, dass wir zuhören. Wenn wir versuchen zu verstehen und vielleicht sogar unser Verständnis spiegeln, dann erlauben wir unseren KlientInnen selbst zu prüfen. Zu prüfen in welcher Situation sie sich befinden, in welche Richtung sie wollen und welche Möglichkeiten bestehen.

Das Problem ist, dass KlientInnen sagen ihre Probleme seien ein Problem.

Wenn wir diese Einschätzung schmälern, werden sie wahrscheinlich darauf beharren. Diese Einschätzung zu bestärken könnte die Dinge verschlimmern. Stattdessen sind Verständnis und Klärungsversuche hilfreich.

»Das stelle ich mir sehr schwer vor! Habe ich das richtig verstanden …?«

Haben wir den Eindruck, dass KlientInnen sich ernst genommen fühlen, können wir den Blick noch mal nach vorne richten und fragen, was sie sich durch die Therapie erhoffen. Ein kurzes »Sondern?« ist hilfreich, um negative in positive Erwartungen umzukehren.

»Ich weiß nicht«

Es ist auch üblich, dass KlientInnen zunächst mit »Ich weiß nicht« antworten, wenn wir sie nach ihren besten Hoffnungen fragen.

Damit erkaufen sie sich oft Zeit, um darüber nachzudenken. Und die beste Weise damit umzugehen, ist eben diese Zeit zu gewähren.

Harry Korman sagte so schön, dass eine Person, die ein Problem beschreiben kann auch immer in der Lage ist etwas Besseres zu beschreiben:

»If a person is capable of describing a problem that person is also capable of describing something that is better.« — Harry Korman (2004)

Auch gibt es viele KlientInnen die zunächst darüber nachdenken was sie wieder können müssen, statt darüber nachzudenken, was sie wollen.

Hoffnungen verrücken

Der Begriff Hoffnung steht für eine positive Erwartung und unterstellt, dass etwas möglich ist. Wir kennen aber alle einige Beispiele falscher Hoffnungen:

  • »Alles soll wieder so sein wie vorher.«
  • »Der ursprüngliche Zustand soll wieder hergestellt sein.«
  • »Ich will wieder alleine zurechtkommen.«

Wir können mit dem KlientInnen zusammen erörtern, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für diese Veränderungen ist. Skalenfragen sind ein geeignetes Mittel:

»Auf einer Skala von 1 bis 10: Wenn 10 bedeutet, dass kein Zweifel besteht und 1 steht für das Gegenteil: Wie zuversichtlich sind Sie, dass Ihre Hoffnung wahr wird? (Was gibt Ihnen diese Zuversicht? Was noch?)«

Oder wir fragen nach den »zweibesten Hoffnungen«, wenn KlientInnen äußern, dass die Wahrscheinlich eher gering ist:

»Was erhoffen Sie sich dann durch die Therapie?«

Nachdem bisher Hintergründe & Grundlagen der lösungsorientierten Methode erläutert wurden, wird sich der zweite Teil mit der Anwendung derselben im Kontext der Ergotherapie und ihren Auswirkungen beschäftigen.

Zum Autor

Porträtfoto von Hendrik MusekampHendrik Musekamp ist Ergotherapeut seit 2011, Blogger und hat einen Bachelor of Arts im Bereich Prävention und Gesundheitspsychologie. Auf hendrikmusekamp.com schreibt er darüber wie professionelle Helfer ihre Unternehmungslust wahren, erkenntnisoffen und selbstvergessen bleiben.

Quellen

Weiterführende Literatur

Weblinks

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Autor*in

Gastartikel

Gastartikel wurden und werden von verschiedenen Personen, die meisten davon Ergotherapeut*innen, verfasst. Informationen zu den jeweiligen Verfasser*innen finden sich in der Regel im Artikel selbst.

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