Ergotherapie im Web

Reihe Basiswissen für Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten: Senile Demenz vom Alzheimer-Typ

Schon heute sind über eine Million Deutsche an Alzheimer erkrankt, in 20 Jahren werden es etwa doppelt so viele sein. Damit stellt Alzheimer eine der größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft dar, nicht nur in finanzieller Hinsicht. In einer immer älter werdenden Gesellschaft wird es immer schwieriger werden, die Versorgung von Alzheimer-Patienten zu gewährleisten. Neben der Suche nach neuen Medikamenten konzentriert sich die Forschung auch auf ganzheitliche Konzepte. Die Ergotherapie zeigt dabei gute Ergebnisse und kann helfen, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern, ihre Selbstständigkeit möglichst lange zu erhalten und einen Umzug ins Heim hinauszuzögern. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Kostenreduzierung einerseits und zur Verbesserung der Versorgungsqualität andererseits. (Artikelbild von jonel hanopol via Flickr, CC BY 2.0)

Was ist eine Alzheimer-Demenz?

Die Alzheimer-Demenz wird durch vermehrte Proteinablagerungen im Gehirn verursacht – sogenannten senilen Plaques. Hinzu kommen fibrilläre Ablagerungen (Tau-Protein), bei denen jedoch unklar ist, ob sie Symptom oder Mit-Ursache für die Ausprägung der Alzheimer-Demenz sind. Weiterhin sterben im Krankheitsverlauf vermehrt Neuronen ab, woraus eine Hirnatrophie folgt. Darüber hinaus nimmt die Produktion eines wichtigen Botenstoffs (Acetylcholin) signifikant ab, was zu einer allgemeinen Hirnleistungsschwäche führt.

Die Ursachen für die vermehrten Ablagerungen sind noch nicht vollständig erforscht. Man vermutet, dass Diabetes, Bewegungsmangel, übermäßiger Nikotinkonsum und Bluthochdruck das Entstehen begünstigen. Auch Depressionen und Stress scheinen die Alzheimer-Demenz zu fördern. Weiterhin gibt es genetische Dispositionen, die das Risiko für Alzheimer erhöhen. In diesen Fällen kann die Demenz auch wesentlich früher auftreten als üblich. Normalerweise beginnt die Alzheimer-Demenz nach dem 65. Lebensjahr. Das Risiko zu erkranken nimmt mit höherem Lebensalter zu.

Typische Symptome der Alzheimer-Demenz

  • Verlust des Gedächtnisses, zuerst des Kurzzeitgedächtnisses, später auch des Langzeitgedächtnisses
  • Beeinträchtigungen von zeitlichem, räumlichem und autopsychischem (auf die gegenwärtige Situation der eigenen Person bezogen) Orientierungsvermögen
  • Sprachstörungen
  • Beeinträchtigungen des Denkvermögens, zum Beispiel des logischen Schlussfolgerns
  • Einschränkungen bei der Handlungsplanung und -durchführung
  • Motorische Unruhe (zum Beispiel fortwährende Nestelei) und Schlafstörungen
  • Stereotype Bewegungskaskaden, zum Beispiel ununterbrochenes Auf- und Ablaufen
  • Wahnvorstellungen
  • Wesensveränderungen, zum Beispiel übermäßige Aggressionen
  • Identitätsverlust
  • Störungen der Körperwahrnehmung, vor allem der Tiefensensibilität (Propriozeption)
  • Störungen der Bewegungskontrolle und -abläufe
  • Inkontinenz
  • Verschlechterung des Allgemeinzustands, zum Beispiel aufgrund von Flüssigkeitsmangel und Nahrungsverweigerung

Einteilung der Alzheimer-Demenz

Die Alzheimer-Demenz wird in drei Stadien eingeteilt:

  1. Das erste Stadium ist gekennzeichnet durch vermehrte Vergesslichkeit − hauptsächlich ist das Kurzzeitgedächtnis betroffen − sowie zeitliche und räumliche Desorientiertheit. Weiterhin ist das Erinnern, Planen und Durchführen alltäglicher Verrichtungen gestört und es treten Wortfindungsstörungen auf.
  2. Im zweiten Stadium verstärken sich die Orientierungsstörungen und weiten sich auf die autopsychische Orientierung aus. Die kognitiven Funktionen, wie abstraktes Denkvermögen, Urteilsvermögen und Konzentrationsfähigkeit lassen stark nach. Die Sprachstörungen werden so stark, dass sie in eine Aphasie (massive Sprachstörung bis hin zum Sprachverlust) münden können und es kommt meist zu einer Apraxie (Störungen der Bewegungs- und Handlungsplanung bzw. -ausführung).
  3. Im dritten Stadium ist es den Betroffenen nicht mehr möglich, eigenständig zu leben. Sie benötigen intensive pflegerische Hilfen und eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung.

Der ergotherapeutische Befund bei Alzheimer-Demenz

Bevor Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten mit Alzheimer-Patienten arbeiten können, erstellen sie immer einen umfassenden ergotherapeutischen Befund. Dabei erfassen sie nicht nur den kognitiven Ist-Zustand des Patienten, sondern überprüfen auch seine sensomotorischen und funktionellen Fähigkeiten. Auf diese Weise sind sie in der Lage, sich ein Bild vom Gesamtzustand des Menschen zu machen und können ein Therapiekonzept erstellen, dass alle relevanten Einschränkungen berücksichtigt.

Der ergotherapeutische Befund bei Alzheimer erfasst in der Regel folgende Punkte:

  • Kurzzeitgedächtnis – Inwieweit ist der Klient in der Lage, neue Informationen abzurufen?
  • Zeitliche Orientierung – Weiß der Klient das Datum, die Tageszeit, die Jahreszeit?
  • Räumliche Orientierung – Weiß der Klient, wo er sich befindet, wie der Wohnort heißt, wo sein Schlafzimmer ist?
  • Orientiertheit zur Person – Kennt der Klient seinen Namen, den Namen seiner Angehörigen, sein Alter, seine Biographie, den Ort, wo er persönliche Gegenstände aufbewahrt?
  • Langzeitgedächtnis – Kann der Klient wichtige Stationen seines Lebens erzählen? Kennt er Lieder, die er früher oft gesungen hat? Kann er das Rezept seines Lieblingsgerichts aufschreiben?
  • ADL-Fähigkeit – Kann sich der Klient selbstständig anziehen, waschen, zur Toilette gehen, Nahrung zubereiten, einkaufen, seine Geschäfte regeln?
  • Handlungsplanung und -durchführung – Kennt der Klient alle Schritte, die für eine Handlung notwendig sind? Kann er sie in der richtigen Reihenfolge aufsagen, aufschreiben, durchführen?
  • Sprachvermögen – Gibt es Wortfindungsstörungen, Paraphasien (Wortverwechslungsstörungen)?
  • Krankheitsanamnese – Welche Grunderkrankungen liegen vor?
  • Beweglichkeit – Wie ist das Bewegungsausmaß, ist es altersgerecht? Gibt es Schmerzen oder Kontrakturen?
  • Basissinne – Wie ist der Hör-, Seh-, Geschmacks-, Tast- und Tiefensensibilitätssinn?
  • Allgemeinzustand – Kann sich der Klient selbstständig fortbewegen? Ist er bettlägerig? Wie ist der Ernährungszustand?

Ergotherapeutische Ziele bei der Behandlung der Alzheimer-Demenz

Da Alzheimer nicht heilbar ist, bestehen die Ziele einer Ergotherapie hauptsächlich darin, die noch vorhandenen Fähigkeiten so lange wie möglich zu erhalten und dem Klienten ein Wohlgefühl zu vermitteln. Die Fein- und Nahziele legt die Ergotherapeutin gemeinsam mit dem Klienten fest. Sie richten sich nach dem Krankheitsstadium und nach den Wünschen und Bedürfnissen des Klienten.

Oft ist es wichtig, den Tagesablauf sinnvoll zu strukturieren. Immer wiederkehrende Verrichtungen zur gleichen Tageszeit ausgeführt, rhythmisieren und beruhigen. Beginnt die Therapie möglichst frühzeitig nach Ausbruch der Demenz, kann die Pflegebedürftigkeit hinausgezögert werden.

Grobziele der ergotherapeutischen Behandlung bei Alzheimer können sein:

  • Verbesserung der Alltagsbewältigung
  • Verbesserung des Selbstmanagements
  • Verbesserung der Geschicklichkeit
  • Verbesserung der Handlungsplanung und -durchführung
  • Verbesserung des situationsgerechten Verhaltens
  • Verbesserung der Ausdauer

Liegen Begleiterkrankungen vor, sollten diese mit behandelt werden, sofern eine Verordnung dazu vorliegt. Je nachdem, wie bedeutsam eine Einschränkung für den Klienten ist, kann die Begleiterkrankung für ihn im Vordergrund stehen, zum Beispiel bei Störungen der Feinmotorik, die Auswirkungen auf die Alltagskompetenzen haben (Schuhe binden, Reißverschluss schließen, etc.).

Ergotherapeutische Behandlung bei Alzheimer-Demenz

Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten, die Menschen mit Alzheimer-Demenz behandeln, müssen einerseits versuchen, einen Kontakt zur Gefühlsebene des Klienten zu bekommen. Andererseits brauchen sie eine gewisse Distanz zum Verhalten des Klienten, da die Persönlichkeit des Demenz-Patienten mehr oder weniger stark gestört ist. Das macht den Umgang mit Alzheimer-Patienten oft sehr anstrengend. Es ist erforderlich, dem Klienten mit einer offenen Haltung zu begegnen, ohne dass der Kontakt willkürlich wird.

Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten brauchen viel Einfühlungsvermögen, Kreativität und ein stabiles Selbstbild. Sie sollten sich nicht durch das Verhalten des Patienten kränken oder irritieren lassen. Die Grenzen des Betroffenen müssen erspürt und beachtet werden und die Behandlungstechniken sollten flexibel erweitert oder abgewandelt werden.

Da die Alzheimer-Erkrankung fortschreitet, nehmen die Fähigkeiten des Klienten kontinuierlich ab. Die Behandlung sollte sich deshalb stets am aktuellen Zustand des Klienten orientieren und die ihn umgebende Umgebung (Angehörige, Pflege, Wohnumfeld) mit einbeziehen, um Frustrationen zu vermeiden.

Im Anfangsstadium von Alzheimer ist es für die Betroffenen wichtig, bedeutsame, aber verloren gegangene Fähigkeiten kompensieren zu können. Kann ein Alzheimer-Patient sich beispielsweise schlecht erinnern, wo der Kaffee gelagert wird, weiß aber noch, wie Kaffee gekocht wird, versucht die Ergotherapeutin gemeinsam mit dem Betroffenen, Strategien zu erarbeiten den Kaffee wiederfinden zu können. So kann der Kaffee zum Beispiel neben die Kaffeemaschine gestellt und die Dose mit einem Symbol versehen werden, anstatt den Kaffee im Schrank zu lagern. Hat der Klient vergessen, dass er zuerst den Kaffeefilter einlegen muss, bevor er Kaffee in die Maschine füllt, kann die Ergotherapeutin mithilfe von Fotokärtchen alle Teilschritte mit dem Klienten üben und den bebilderten Ablauf neben der Kaffeemaschine anbringen. Es gilt immer: Die Hilfestellungen sollten so konkret und einfach wie möglich sein.

Im zweiten und dritten Stadium von Alzheimer steht häufig die Stabilisierung des Ist-Zustands im Vordergrund. Dabei spielt die emotionale Stabilisierung eine große Rolle, da das Gefühlsleben der Klienten häufig noch lange intakt bleibt. Darüber hinaus versuchen Ergotherapeuten, die Wahrnehmung zu fördern, weil diese die Voraussetzung dafür ist, dass sich der Klient angemessen bewegt und verhält. Damit lässt sich die Teilhabe des Klienten häufig verbessern.

Typische ergotherapeutische Methoden bei Alzheimer-Demenz

Im Frühstadium wird ein kognitives Aktivierungsprogramm angeboten, welches motorische, alltagspraktische, und kognitive Elemente beinhaltet. Kognitive Fähigkeiten sind das Erinnerungs-, Lern- und Denkvermögen. Das Programm wird in Form von Gedächtnis- und Aufmerksamkeitstraining durchgeführt. Wichtig dabei ist es, den Patienten nicht zu überfordern und seine Grenzen zu beachten. Dazu auch das Trainieren von alltäglichen Fertigkeiten, wie An- und Ausziehen, Körperpflege und Arbeiten im Haushalt. Orientierungsstörungen und Sozialverhalten sollen beeinflusst und Depressionen und Ängste abgebaut werden. Außerdem wird durch die Ergotherapie die motorische Unruhe reduziert und Bewegungsstörungen vorgebeugt.

Mithilfe eines Wahrnehmungstrainings soll die Wahrnehmungsfähigkeit der Klienten so lange wie möglich erhalten werden, ganz besonders das Spüren des eigenen Körpers. Ein Therapieansatz dafür ist die Basale Stimulation, bei der zum Beispiel mit Massagen, Gerüchen oder wechselnden Lagerungen die verschiedenen Sinne angesprochen werden.

In späteren Stadien hat sich die Validation bewährt, ein Therapieansatz, der die Bezugspersonen anleitet, sich in die Welt des Kranken hineinzuversetzen. Es wird überwiegend über Berührungen, Gesten, Bilder oder Musik kommuniziert.

Weitere wichtige Aspekte der Ergotherapie bei Alzheimer sind die Angehörigenarbeit und die Beratung bei der Anpassung des Umfeldes der Patienten. Es wird bei der Auswahl geeigneter Hilfsmittel beraten und deren Umgang geübt.

Literatur

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Autor*in

Silke Jäger

Silke Jäger ist Ergotherapeutin, Lektorin und Projektmanagerin und verdient ihre Brötchen als Freiberuflerin mit Texten über Rehabilitation, Therapie und Gesundheitsthemen—Website

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