Ergotherapie im Web

Resümee: Praktikum im Fachbereich rehabilitative Neurologie – Klinikum Judendorf-Straßengel

Wieder einmal ist’s sehr schnell gegangen, vier Wochen sind halt manchmal einfach ein bisschen kurz. An anderer Stelle habe ich meine Eindrücke von Therapietag in Judendorf-Straßengel bereits geschildert, jetzt wird es zeit für das echte Ding. Die vergangenen Wochen habe ich in der Steiermark verbracht, um mir den Fachbereich der neurologisch-rehabilitativen Ergotherapie zu Gemüte zu führen. Das erste was auffiel: es gibt Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten, und zwar verhältnismäßig in viele – gut im Vergleich zum Anblick, den die blau gewandeten Horden (Braveheart lässt grüßen…) der Physiotherapeutinnen und -therapeuten bei der Morgenbesprechung bieten, ist die Zahl zwar etwas geringer – aber 12 sind’s trotzdem, verteilt auf zwei Gebäude und zwei Stockwerke, ein Therapieraum ist typischerweise im Keller angesiedelt, da fühlt man sich gleich heimisch…

An Therapieangeboten gibt es Einzel-und Gruppensettings, die Einzeltherapiesitzungen dauern zumeist 30 Minuten, bei Kindern und teilweise bei Jugendlichen 60 Minuten, als Gruppenaktivitäten werden ergotherapeutischerseits folgende angeboten:

  • Frühstücksgruppe – 60 Minuten, täglich: Patientinnen und Patienten können unter lebensnahen Bedingungen unter Anleitung das Frühstück einnehmen, beübt werden unter anderem das Handling bzw. der Miteinbezug des betroffenen Armes/der betroffenen Körperseite, Transfers, der Umgang mit notwendigen Hilfsmitteln, visuelle Exploration und Planen von Handlungen.
  • funktionelle Werkgruppe – 60 Minuten, täglich: die Art der Handwerklichen Tätigkeit wird auf die Defizite der Patientinnen und Patienten abgestimmt, angeboten werden unter anderem: Peddigrohrflechten, kleine Holzarbeiten, mikroskopisch kleine Mosaikarbeiten, Drahtbiegearbeiten, Makramee (OMFG – kommt aber gut an, ich habe nur eine persönliche Aversion dagegen), FIMO, Holzbrennarbeiten, Arbeit mit Perlen (Ketten, Armbänder, Tiere – ich persönlich widmete mich perlenbezogen der Wasserfauna – ein Fisch und ein Frosch entstanden durch meiner Hände Arbeit, und nein, ich hätte mir im Leben nicht gedacht dass ich jemals ein Perlentier anfertigen würde, aber so kann’s einem gehen…), Origami und andere Tätigkeiten die ich entweder nicht gesehen habe oder an die ich mich nicht mehr erinnern kann.
  • Kochgruppe – ca. 3 Stunden, einmal wöchentlich: Zubereitung eines kompletten Menüs in der Gruppe, in einer rollstuhlgerechten Küche (wieder mal mit den unsäglichen berührungsempfindlichen Herdsteuerungen, ich hasse die Dinger, wer hat sowas zuhause??) mit anschließendem Verzehr des Produkts.
  • Gartengruppe – 60 Minuten, einmal wöchentlich: Betreuung des Therapiegartens, im Winter (also zurzeit noch) z.B. Produktion von Verkaufsartikeln für den Osterbasar (Blumentöpfe, Glückwunschkarten, …)
  • Handfunktionsgruppen – zweimal täglich, 30 Minuten: allgemeine Beübung diverser Handfunktionen im Gruppensetting mit maximal 6 Patientinnen und Patienten pro Gruppe, zwei Niveaus. Mit den “HAFU’s” habe ich mich recht ausführlich beschäftigt, weil ich sie für 3 1/2 Wochen geleitet habe – gearbeitet wurde unter anderem mit: Knetmasse, Stäben, Rollen, Papier, Glassteinen, Handfunktionstrainern, Bauklötzen, Bällen, Spielen (Packesel, Jenga und allem was mir sonst noch in die Finger kam. Erstaunlich welchen Einfallsreichtum man so entwickeln kann.

Generell ist zu sagen, dass Patientinnen und Patienten zu den jeweiligen Gruppen von ihren betreuenden ET’s zugewiesen werden – eine Praxis, die ich persönlich sehr sinnvoll finde, da sich aus der ergotherapeutischen Befundung und Beobachtung eine genauerer Identifikation der Problemfelder ergibt als wenn sich ein anderer Zuweiser im stillen Kämmerchen darum kümmern würde. Ich persönlich mag Gruppensettings mittlerweile sehr gerne, v.a. auch wegen der dynamischen Kommunikation die meist zustande kommt.

In den Einzelsettings wird meist “klassische” funktionelle Ergotherapie geboten, aber auch für alltags- und berufsspezifische Übungen findet sich Platz (Einzelhaushaltstraining, Computertraining, simulierte Beratungsgespräche, Ergonomieschulungen, …). An Therapiekonzepten kommt so ziemlich alles – von Bobath über Affolter und Prä-Affolter, Spiegeltherapie, Johnstone, Spiraldynamik [Archivlink] bis hin zu PNF und craniosakraler Therapie (und irgendwas habe ich sicher noch vergessen) – zum Einsatz, was man sich so vorstellen kann, die Räume sind gut ausgestattet (Bobath-Liegen, höhenverstellbare Tische, Therapiematerial), allerdings kann es manchmal ein bisschen laut werden, wenn drei ET’s mit Patientinnen und Patienten in einem Therapieraum sind und alle durcheinander reden – das kann m.E. nach bei Befunderhebungen und leicht ablenkbaren Patientinnen und Patienten zu kleineren Problemen führen. Extrem positiv fiel mir die sehr strikte Einhaltung der Händehygiene auf – das ist möglicherweise nicht überall so.

Zusätzliche Aufgaben der ET’s umfassen die Rollstuhlanpassung (zwei Nachmittage pro Woche), die Arbeit mit Patientinnen und Patienten am Handroboter Amadeo (Faszinierend…), Wasch-Anzieh-Training und eine Menge Schreibkram. Das Team empfand einerseits als extrem gut ausgebildet und andererseits sehr zugänglich  – beste Voraussetzungen um eine Menge zu sehen, zu lernen und mitzunehmen – generell konnte man im ganzen Haus jederzeit jeden alles fragen, ich erhielt immer freundliche Auskunft, das ist mir sehr positiv aufgefallen. Manchmal war mir das geballte Wissen fast ein bisschen unheimlich, aber man gewöhnt sich…

Tja, was gibt’ noch zu sagen? Jede Woche gibt es eine interne Fortbildung (30-60 Minuten) in der kompakt zusammengefasst Wissen vermittelt wird, z.B. von Vorträgen und Kursen, Praktikantenteilnahme erlaubt (war sehr spannend). Die Arbeitszeiten sind für mich (und das empfindet garantiert nicht jeder so) ein bisschen unfreundlich (Freitags bis 16.00, seufz…) und der Durchsatz von Patientinnen und Patienten sehr hoch – d.h. man hat oft sehr kurze Vorbereitungszeiten und knappe Zeit für die Dokumentation, man sammelt aber so auch in kurzer Zeit sehr viele Eindrücke und Erfahrungen.

Unterm Strich: extrem empfehlenswert, auch im pädiatrischen Bereich – aber eher für acht als für vier Wochen. Daumen hoch, danke nochmals an das ganze Team für Auskunftsbereitschaft, Unterstützung, Fachwissen, Geduld, Verständnis für Raucher und neue Einblicke in die High-Heels-Sphären!!!

Autor*in

Markus Kraxner

Markus Kraxner hat seine Ausbildung 2010 an der Akademie für den ergotherapeutischen Dienst des Landes Kärnten abgeschlossen. Er war mehrere Jahre im akutpsychiatrischen Setting tätig, seit 2015 arbeitet er als Hochschullehrender an der Fachhochschule Kärnten. Sein berufsbegleitendes Masterstudium hat er 2017 abgeschlossen. Den handlungs:plan hat er 2010 ins Leben gerufen und ist seitdem inhaltlich und redaktionell hauptverantwortlich für die Website. Lebenslauf | Weitere Informationen

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