Ergotherapie im Web

So ein Alptraum!

Ich bin letzte Nacht aufgewacht. Ganz plötzlich, weil ich gekichert habe. Hört sich blöd an und wird nicht unbedingt besser. Ich hatte auch noch Tränen im Gesicht. Uhhh…Ich war mir nicht sicher was los war und habe mich erinnert an meinen Traum. Denn der bestand aus Kreuzen und Telefonaten und Kreuzen und Telefonaten und Kreuzen und Telefonaten… Ich nahm mir einen Tasse Matcha-Tee und überlegte eine Weile vor mich hin bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel. Denn die Geschichte war so… (Artikelbild von Romina Campos via Flickr, CC BY 2.0)

Eine Mutter kommt mit ihrer Tochter in die Praxis. Die Kleine hat ein paar ernsthafte Diagnosen mit therapeutischem Bedarf. Wir machten einen Termin und ich bekam das Rezept inklusive eines Briefes der Krankenkasse ausgehändigt. Ich wunderte mich ein wenig über den Brief als solches. Ich las das Ganze durch und nickte professionell ein paar Mal. Mir war nicht so ganz klar worum es ging, denn da las ich von einer genehmigten Verordnung außerhalb des Regelfalls. Ich las nochmal und prüfte wiederholt mit geübtem Blick das Rezept, denn das hatte Kreuze bei Verordnung außerhalb des Regelfalls und der Folgeverordnung, was im deutschen System gar nicht geht. Das Prüfen das ist Pflicht und soll dazu dienen, die Ärzte zu unterstützen und um Formfehler zu vermeiden und dass ich als Therapeut die Behandlung auch bezahlt bekomme. Denn Formfehler, und nicht inhaltlicher Murks, würde eine Rechnungskürzung in Deutschland nach sich ziehen.

Hey, dass will ich nun gar nicht riskieren und ich streng mich an, alles richtig zu machen und vor allem um richtig die Arbeit der Ärzte zu prüfen. Aber gut, irgendwas stimmt hier nicht. Ich fragte ganz ernsthaft, wo die Tochter schon ergotherapeutische Behandlung bekommen hatte. Die Mutter verneinte gänzliche derartige Erfahrungen. „Wieso ist dann auf der Verordnung außerhalb des Regelfalls und Folgeverordnung angekreuzt?“ Das Ganze wurde, obwohl eindeutiger Formfehler, von der Krankenkasse gestempelt und mit einem Brief schriftlich genehmigt. Nachfrage ergab genau: Nichts. „Die Ärztin habe ihr dieses Rezept so gegeben und einen Antrag auf langfristige Genehmigung einer Verordnung außerhalb des Regelfalls gestellt. Sie, die Ärztin, habe das so von ihrer Vereinigung so und nicht anders gelernt und pocht darauf, dies so zu machen und überhaupt nicht irgendwie anders.“ meinte die Mutter. Aber es gibt ja nicht mal einen Regelfall. Ich nickte ihr nochmals höflich zu und wollte mich kümmern. Denn sowas sei doch zu klären in unserem ordnungsliebenden deutschen System.

Ich rief also die Bearbeiterin der Krankenkasse an. Die ersten höflichen Floskeln wurden ausgetauscht. Ich schilderte die Sache. Die Dame verstand erstmal, genau gar nichts. Ich erklärte nochmals höflich, diesmal mit dem Hinweis, dass bei Formfehlern ich nicht bezahlt werden würde. So die Regeln ihrer Krankenkasse. Und zusätzlich werden die Rezepte einbehalten, so dass man gar nicht die Chance hat Formfehler zu prüfen und ggf. zu korrigieren. Und zu Arbeiten ohne Bezahlung wäre ja auch doof. Das verstand sie dann auch, teilte mir aber mit, sie habe nur dieses Rezept nebst Antrag bearbeitet und kann den Fall doch nicht kennen und überhaupt war der Antrag und das Rezept ganz richtig bei ihr gelandet. Ich wurde etwas unruhig, denn irgendwie lief’s noch nicht in Richtung Klärung. Nicht mal ansatzweise. Das ging dann noch ne Weile. Gut, meinte ich sie solle mich doch mal mit der Rechnungsprüfung verbinden, die können wir doch sicher eine Auskunft geben wie ich denn damit umgehen könnte. Sie wurde aggressiver im Ton und antwortete deutlich gereizter, dass sie die Nummer nicht habe und überhaupt habe sie ihre Arbeit absolut korrekt gemacht. Wie? Was? Warum?

Ich blieb einfach hartnäckig bis ich es gerafft hatte. Die Rechnungsprüfung wurde outgescourct. Kostenersparnis. Ist doch billiger! Mensch bin ich blöd. Klar die Bearbeiterin der Kasse kann dann ja auch gar nicht wissen wie komplex so’ne Rezeptgeschichte ist und wie die Regeln ihrer Kasse denn genau anzuwenden sind. „Sie sei tatsächlich bloß für die Stempel der Anträge da“. Ich dachte auf verbaler Ebene. Das war wohl ein Fehler. Sie schreit mich genervt an! Ups…Ich frage nach dem Grund. Sie meint: „Mensch sie hören aber auch gar nicht auf“. Wir einigen uns, dass sie im Telefonbuch nachschaut und mir die Nummer der Firma gibt. Sie muss erstmal nach dem Firmennamen schauen. Es vergehen ein paar Minuten, was sowieso nicht ins Gewicht fällt, es dauert ja schon 20 Minuten. Ich bedanke mich höflich und fühle mich weiterhin irritiert.

Ich rufe die nächste Dame an. Diesmal eine von einer Rechnungsprüfungsfirma. Nein, von der Rechnungsprüfungsfirma der Krankenkasse. Die ist erstmal ganz locker und nett. Ich erzähle meine Geschichte und frage nach der Handhabung. Sie meint, ich habe völlig Recht und natürlich bezahlen sie NICHT ein derartiges Rezept, mit solch einem krassen Formfehler. Nicht einen Cent. Aha, ich wusste es…kann mir aber nichts davon kaufen, weil es ja nichts gibt. Ich weise auf den Stempel der Krankenkasse hin und auf den Brief. Sie will aber immer noch nicht zahlen. Wahrscheinlich kriegen sie Boni, für entdeckte Fehler auf Rezepten. Was jetzt ne reine Spekulation wäre. Ich schildere nochmal, mit anderen Worten aber gleichen Inhalt. Die Kundenbetreuerin blieb weiterhin ganz nett. Und zwinkerte mir verbal durch Telefon zu. Ich solle es doch einfach mal einreichen. Vielleicht kriegt es ja auch keiner in der Bearbeitung mit und ich hätte Glück. Paralysiert, bedanke ich mich und wünsche einen schönen Feierabend. Denn den benötige ich auch ganz dringend…

Ich trank meinen letzten Schluck Matcha-Tee, kicherte verhalten und bemerkte eine Träne meine Wange hinunter kullern.

Was für ein Alptraum.

Autor*in

Michael Schiewack

Michael Schiewack wurde 1980 geboren, ist seit 2003 Ergotherapeut und seit 2007 in eigener Praxis tätig. Zurzeit studiert er Health Care Education in Berlin. Er hat 2005/2006 als Ergotherapeut in Ghana gearbeitet und organisiert seit 2011 einen jährlichen Workshop in einem Heim für Kinder mit Mehrfachbehinderungen in Minsk—Website

12 Kommentare

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  • […] Ein kleiner Einblick in einen Fall der so oder so ähnlich sich irgendwo abgespielt hat. hier… […]

  • Das ist wirklich ein Alptraum. Ich fürchte nur, es ist kein Einzelfall. In Deiner Schilderung kommt das ja super raus: Das System ist überhaupt nicht logisch, es ist alles nur irgendwie geregelt. Und am liebsten von Krankenkasse zu Krankenkasse und Verband zu Verband mit unterschiedlichen Einzelchecklisten. Und dann auch leider so, dass ein einzelner Mensch, der sich nicht hauptberuflich mit Rezeptprüfungen beschäftigt, verzweifeln muss. Die Krankenkassenmitarbeiter*innen verlassen sich da auch lieber auf die Volljuristen in den Rezeptprüf-Unternehmen. Denn man muss anscheinend juristisch ausgebildet sein, um die sich widersprechenden Regeln und Anwendungsfälle irgendwie sortiert zu kriegen. Es ist zum Heulen. Aber ohne Humor hält man es wohl kaum aus.

  • Bitte, bitte, einfach an die GesundheitsministerIn senden. Ich bin zwei Mal gerannt, damit ich ein gültiges Rezept bekam. Hat mich 4,5h und 7,80 Fahrgeld gekostet, als Patientin. Kann irgendwie nicht sein, das erträgt man auch nur, wenn man gesund und ganz ganz ruhig ist!

  • Guten Tag,

    wichtig ist erst mal folgendes fest zustelle.
    1.Die KK genehmigt lediglich die Art der Behandlung. Die KK bestätigt Dir nicht inhaltliche korrekte Heilmittelverordnung!

    2. Einzelne Rahmenverträge lassen geben ggf.auch das doppelte ankreuzen, als VadR und Folge VO zu. Nachlesen !!!Diese RV der einzelnen Bundesländer stellen den Heilmittelerbringer also günstiger als die HMR.

    3. Es ist absolute Zeitverschwendung mit Mitarbeitern der verschiedenen KK zu telefonieren. Selbst wenn eine Aussage wie: ” das geht so” kommt, bringt Dir eine solche bei einem Regress natürlich sehr wenig. Eine schriftliche Bestätigung wirst du wohl nicht bekommen.

    4. Von den Damen, manchmal auch Herren am Servicetelefon kann man kaum eine fachkundige Auskunft erwarten. Die meisten kennen noch nicht einmal den Unterschied zwischen HMK und HMR.

    Wichtig ist für jeden PI, dass er sich mit den ganzen Regularien bestens auskennt und jeden Mitarbeiter mit § der HMR oder mit Auszügen aus dem HMK oder den RV an die Wand quatschen kann.

    Was in diesen für den Arzt, den Heilmittelerbringern, den Krankenkassen , usw. rechtskräftigen Vorgaben steht ist für alle verbindlich. Was da nicht drin steht, das gibt es auch nicht.

    MfG M.E.

  • Hallo – ich bin Physiotherapeut und habe erst vorige Woche fast 1:1 das Gleiche erlebt – immer noch mit keinem Ergebnis – bzw. auch der Aussage der Abrechnungsstelle reichen Sie die Verordnung doch einfach einmal ein, die Genehmigung der Krankenkasse habe Sie ja, vielleicht bemerkt es ja niemand. Die Worte des Arztes den wir baten er möge zuallererst eine Erstverordnung ausstellen möchte ich an dieser Stelle nicht wiederholen – aber eines sei gesagt, seine verbalen Ausfälle würden locker für eine Anzeige reichen – aber was hilfst? Er ist nicht bereit nochmals eine Verordnung auszustellen – weil: “Ich bin mir sicher dass ich alles richtig gemacht habe und wenn Sie zu bl…d sind und die Gesetze nicht lesen können, sollten Sie den Patienten zu einer kompetenten Praxis weiterschicken” u.s.w.
    s.G.
    Wolf Kainer

    • Vielen Dank für Deine Geschichte. Eigentlich ist es schon fast unfassbar, wie viele ähnliche Vorgänge bei allen Heilmittel-Kollegen durchlebt werden.

  • Das Ganze hat System. Und während in der Öffentlichkeit immer wieder die Therapeuten als zahlenmäßig größte Betrüger hingestellt werden, lachen sich die Gesundheitsökonomen der “wirklich wichtigen” Parteien ins Fäustchen. Ein Beispiel….

    Heute morgen im Posteingang: die Krankenkasse mit den drei grünen Großbuchstaben lässt uns wissen, dass sie von unserer letzten Abrechnung eine Behandlung des Patienten XY vom 24. Februar nicht erstatten kann(!). Die Begründung lautet, der Patient hätte sich zu besagtem Zeitpunkt im Krankenhaus befunden.

    Flott recherchiert ergibt sich aus unserer Dokumentation: XY ist am Nachmittag des 24.2. tatsächlich ins Krankenhaus gekommen. Die Behandlung fand allerdings am Vormittag statt. EIn willkommener Anlass, mit der zuständigen Sachbearbeiterin im “CompetenceCenter” zu telefonieren. Und dann der Schock: der Patient war, laut Abrechnungsdaten des Krankenhauses tatsächlich vom 15. bis 27. Februar im Krankenhaus!?!

    Auf meinen EInwurf, das könne nicht sein, die Abrechnungsdaten des Krankenhauses müssten den Fehler enthalten, wurde dann überprüft, ob von dort ein “Korrekturdatensatz” angeliefert worden sei. Und siehe da, tatsächlich gibt es noch andere Informationen zum KH-Aufenthalt: Einlieferung am 24.2. gegen 13.00 Uhr!

    Wenn unsereins eine Verordnung mit “falschem Kreuzchen” abrechnet, eine Unzulänglichkeit, die wir nicht mal selbst zu verantworten haben, dann erleiden wir eine endgradige Unterschlagung unseres Honorares. Selbst eine Nachbearbeitung respektive Korrektur unsererseits wird häufig abgelehnt.

    Für Krankenhäuser gilt das offensichtlich nicht – man quält lieber erst mal die Therapeuten. Meine Bitte an die liebe Krankekasse wäre: das nächste mal bitte gleich den Staatsanwalt zu uns schicken. Dann könnte mal ganz öffentlich Rechtmäßigkeit einerseits und die Zuverlässigkeit der jeweiligen Vertragspartner andererseits befunden werden.

    • Also ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass wir dsbzgl. in Österreich wirklich weniger Probleme haben—vielleicht hat von den hiesigen Kolleginnen und Kollegen jemand ähnliche Erfahrungen gemacht?

      Competence-Center sind wohl weltweit ident gruselig…

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